
Interview - Michel Ruimy ist Wirtschaftswissenschaftler, Berater und Strategieberater für Unternehmen des CAC 40 und internationale Organisationen. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel zu wirtschaftlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Themen und unterrichtet an nationalen und internationalen Institutionen von Weltruf (Sciences-Po Paris, ESCP Europe...).
Wie sind aus internationaler Sicht die Wachstumsaussichten für den Gesundheitssektor?
Michel Ruimy: Die Weltbevölkerung konsumiert immer mehr "Pflege", was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass das Bewusstsein für die Bedeutung der Krankheitsprävention und der Förderung des Wohlbefindens wächst. Die personalisierte Medizin, die Diagnosen und Behandlungen auf der Grundlage individueller genetischer Merkmale beinhaltet, ist auf dem Vormarsch, und es gibt immer mehr Geräte zur Überwachung der körperlichen Fitness, Anwendungen zur Überwachung der Ernährung und Fitnessprogramme. Bereiche wie künstliche Intelligenz, Telemedizin und das Internet der Dinge revolutionieren die Gesundheitsfürsorge, indem sie die Diagnose, Behandlung und das Management von Krankheiten verbessern.
Diese Nachfrage wird seit Jahren vor allem durch das Wachstum und die Alterung der Weltbevölkerung, die allmähliche Verbreitung chronischer, durch den Lebensstil bedingter Krankheiten sowie den stetig wachsenden Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung und den Bedarf an medizinischer Infrastruktur in den Schwellenländern (tiefgreifende strukturelle Faktoren) gestützt. Darüber hinaus boomt der Medizintourismus: Mehr Patienten reisen in Länder mit Gesundheitsdiensten, moderner Infrastruktur und fortschrittlichen medizinischen Verfahren, um eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zu erschwinglichen Kosten zu erhalten.
Auf der zersplitterten Angebotsseite sind Pharmaunternehmen einschließlich Generikahersteller, Biotechs, Medtechs und Dienstleistungen (Kliniknetze, Unternehmen, die Software für Apotheken liefern ...) zwar miteinander korreliert, aber ausreichend diversifiziert, so dass der Sektor nicht allzu sehr unter der Volatilität der Börsenkurse zu leiden hat.
Schließlich bleibt das Gesundheitswesen ein Markt, der vor allem dank der Small- und Mid-Caps tendenziell besser abschneidet als andere. Auch die geografische Diversifizierung spielt eine wichtige Rolle, wobei Asien und die USA die wichtigsten Märkte bleiben, sowohl was das Konsumpotenzial als auch was die Anlagemöglichkeiten angeht.
Obwohl der Gesundheitssektor weltweit fast 10 % des globalen BIP ausmacht und damit etwa 20-mal so groß ist wie die Luxusgüterindustrie, hat er mit steigenden Gesundheitskosten, komplexen Vorschriften, einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften und Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Schutz medizinischer Daten zu kämpfen. Da jedes Land seine Besonderheiten hat, können die Wachstumsaussichten von Land zu Land unterschiedlich sein, doch insgesamt bietet der Sektor weiterhin Wachstumschancen.
Haben sich dank der künstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen Untersektoren herausgebildet, die neue Investitionsmöglichkeiten eröffnen?
Michel Ruimy: Der Markt für Analysen im Gesundheitswesen ist nach Technologietyp (prädiktive Analyse, präskriptive Analyse und deskriptive Analyse), Anwendung (Analyse klinischer Daten, Analyse von Finanzdaten und Analyse administrativer Daten), Produkt (Hardware, Software und Dienstleistung), Liefermodus (Vor-Ort-Modell und Cloud-basiertes Modell), Endbenutzer (Gesundheitsdienstleister, Pharmaindustrie, Biotechnologieindustrie und akademische Organisation) und geografisch (Nordamerika, Europa, Asien-Pazifik, Mittlerer Osten und Afrika sowie Südamerika) segmentiert. Über diese Segmentierung hinaus spielt die künstliche Intelligenz (KI) eine wesentliche Rolle bei der Strukturierung von Teilsektoren, sei es in den Bereichen medizinische Diagnostik, Präzisionsmedizin, digitale Gesundheit, Patientenüberwachung und medizinische Forschung.
In der medizinischen Diagnostik kann KI die Genauigkeit und Effizienz der Diagnose verbessern, indem sie große Datenmengen (medizinische Bilder, genetische Daten, Krankengeschichte) analysiert. Seitdem haben Start-ups, die sich auf diese Technologie stützen, Werkzeuge zur Früherkennung und Diagnoseunterstützung entwickelt (Dermatologie, Radiologie...).
Diese Technologie erleichtert auch die Personalisierung medizinischer Behandlungen, indem sie Patientendaten analysiert, um das Ansprechen auf bestimmte Medikamente vorherzusagen oder um Biomarker zu identifizieren, die bestimmte Krankheiten vorhersagen.
Digitale Gesundheitsanwendungen und Geräte zur Patientenüberwachung, die auf Smartphones installiert sind, profitieren ebenfalls von den Fortschritten der KI. KI-gestützte Chatbots und virtuelle Assistenten können medizinische Ratschläge erteilen und Termine verwalten. Wearables (Geräte zur Patientenüberwachung) können Gesundheitsdaten in Echtzeit sammeln, sodass Gesundheitsfachkräfte die Patienten aus der Ferne überwachen und potenzielle Probleme erkennen können.
Schließlich beteiligt sich die KI an der medizinischen Forschung, indem sie den Prozess der Entdeckung von Medikamenten beschleunigt. Sie wird bei der Analyse von Daten im Zusammenhang mit der medizinischen Forschung eingesetzt, darunter wissenschaftliche Artikel, Genomdatenbanken und Patientendaten.

Wie ist der Gesundheitssektor aus wirtschaftlicher Sicht zu bezeichnen? Welche Renditen (ROI) kann man von ihm erwarten? Kann man sagen, dass es sich um einen resilienten und azyklischen Sektor handelt?
Michel Ruimy: Gesundheit ist ein Grundbedürfnis eines jeden Menschen. Der Gesundheitsmarkt ist daher ein wesentlicher, wenn nicht sogar der entscheidende Wirtschaftssektor. Trotz strenger Vorschriften zur Gewährleistung der Patientensicherheit, der Qualität der Versorgung und der medizinischen Ethik wächst er stetig, und insbesondere für Gesundheitsprodukte und -dienstleistungen, die solide und nachhaltig expandieren, ergeben sich neue Investitionsmöglichkeiten.
Die Renditen im Gesundheitssektor können jedoch je nach regulatorischen Entwicklungen, Art der Investition, Art des Unternehmens oder Projekts, Entwicklungsphase, Marktbedingungen und damit verbundenen Risiken stark variieren. Dennoch können einige Unternehmen im Gesundheitssektor potenziell hohe Renditen bieten, wie z.B. Technologie-Start-ups (über die Start-up-Phase hinaus), Pharmaunternehmen im Zusammenhang mit Fortschritten bei Gentherapien, Onkologie, seltenen Krankheiten usw. oder sogar in der Gesundheitsinfrastruktur (Krankenhäuser, Kliniken, Langzeitpflegezentren, spezialisierte Gesundheitseinrichtungen usw.), die weniger riskante Investitionen sind und deren Renditen daher im Vergleich zu anderen innovativeren Sektoren bescheidener ausfallen können.
Obwohl der Gesundheitssektor aufgrund der anhaltenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen insgesamt als relativ widerstandsfähig und azyklisch angesehen werden kann, können einige Kompartimente anfälliger für Konjunkturzyklen sein als andere, wie z. B. teure medizinische Geräte und nicht dringende medizinische Verfahren, die in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs verschoben werden können, was finanzielle Auswirkungen auf einige Unternehmen in diesem Sektor haben kann.
Welchen Beitrag leistet Private Equity, um diese Spitzenunternehmen (AIVF, Biofourmis, ...) zu begleiten? Sie können so ihren Markt konsolidieren, Arbeitsplätze schaffen ...
Michel Ruimy: Von Biotechs über Pharmazeutika bis hin zu Medtechs bietet der Gesundheitssektor ein breites Spektrum an wirtschaftlichen Aktivitäten und bleibt ein vielversprechendes Thema, das von soliden Fundamentaldaten gestützt wird. Die vielversprechenden Innovationen, die morgen auf diesen Wachstumsmarkt kommen werden, werden dazu beitragen, ihn zu dynamisieren. Der Staat und die öffentlichen Dienste werden nicht in der Lage sein, diese Ausgaben langfristig zu tragen. Der Privatsektor wird daher unweigerlich in die Bresche springen müssen.
In diesem Zusammenhang wird Private Equity eine wichtige Rolle dabei spielen, das Erfolgspotenzial von Hightech-Unternehmen zu unterstützen. Denn diese Investoren tragen nicht nur zu einer bedeutenden Finanzierung der Aktivitäten bei, sondern verfügen häufig auch über Fachwissen und ein weitreichendes Netzwerk, das sie insbesondere dadurch mobilisieren können, dass sie diesen Unternehmen strategische Ratschläge und bewährte betriebliche Verfahren zur Verfügung stellen und/oder Partnerschaften, Kooperationen, Geschäftsmöglichkeiten usw. erleichtern. Darüber hinaus haben sie oft enge Beziehungen zu anderen Finanzinstituten (Banken, Risikokapitalfonds, Staatsfonds usw.) aufgebaut, was diesen Firmen den Zugang zu anderen Finanzierungsquellen zum richtigen Zeitpunkt erleichtern und/oder ihnen helfen kann, im Zuge ihres Wachstums zusätzliche Mittel zu beschaffen.
Wie man sieht, bieten all diese aktuellen und potenziellen Initiativen den Unternehmen eine wertvolle Hilfe. Sie ermöglichen es ihnen, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren und gleichzeitig von externer Managementexpertise zu profitieren.

Wie lassen sich Kostendruck und stetig steigende Bedürfnisse miteinander verbinden?
Michel Ruimy: Die Branche zeichnet sich dadurch aus, dass sie in einem regulierten Wirtschaftsumfeld angesiedelt ist, das zwei Ziele verfolgt: Kostenkontrolle durch Preisfestsetzung und Organisation des Gesundheitsangebots im Wesentlichen über die Marktzulassungen. Die Industrie ist daher seit mehreren Jahren mit wirtschaftlichen Zwängen und einem starken weltweiten Wettbewerb konfrontiert.
Die "4 P"-Medizin (prädiktive, präventive, personalisierte und partizipative Medizin) bietet den Akteuren der Branche viele Chancen - vorausgesetzt, sie arbeiten anders. Sie stellt sie vor die Aufgabe, ihre Position in der Wertschöpfungskette des Gesundheitswesens regelmäßig zu überdenken und ihre Arbeitsweise rasch zu modernisieren. Diese Situation erfordert die Schaffung eines "Pflegekontinuums" und im weiteren Sinne eines "Gesundheitskontinuums", um Risikoverhalten zu antizipieren und das personalisierte Umfeld einer Bevölkerung oder eines Patienten zu kennen. Sie zwingt zur Öffnung der Grenzen zwischen den Akteuren, die die Wertschöpfungskette bilden, und zur Zusammenarbeit zwischen den Fachkräften. Sie setzt die Multidisziplinarität der Teams, die sich dafür einsetzen, und die Entwicklung neuer Kompetenzen für die Berufe voraus. Das Kontinuum ist auch ein "Datenkontinuum", denn die Daten, das neue "schwarze Gold" der Wirtschaft, müssen zirkulieren können und über die gesamte Wertschöpfungskette von der Nutzung bis zur Forschung nutzbar sein, um Behandlungen und Therapien gezielter und besser anpassen zu können und die Forschung zu Gesundheitsprodukten sowie die Epidemiologie zu bereichern.
Dieses Schema erfordert die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Spezialisierungen, Berufen und Kompetenzen und führt zu einer Zusammenarbeit aller Akteure - in wirtschaftlichen, rechtlichen, Entwicklungsmodellen ... -, die eine Verschiebung und eine Aufteilung des Wertes zwischen den Akteuren bewirkt, deren Regeln noch erfunden und strukturiert werden müssen.
In diesem Umfeld ist es eine komplexe und ständige Herausforderung, Kostendruck und ständig steigende Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen. Meiner Ansicht nach kann ein Gleichgewicht erreicht werden, indem die Modelle zur Erbringung von Pflegeleistungen überdacht werden. Nur durch die Umsetzung eines umfassenden Ansatzes, der die Herausforderungen der verschiedenen Interessengruppen (Leistungserbringer, Versicherer, Pharmaunternehmen, Patienten) berücksichtigt, kann unter der Leitung der öffentlichen Hand ein zufrieden stellender Konsens erreicht werden.
Wir sehen das an Unternehmen wie Eating Recovery Center und Mentaal Beter (die im Jahrgang Altaroc Odyssey 2021 vertreten sind), die sich um Patienten mit Essstörungen und psychischen Problemen kümmern. Könnten diese Unternehmen nicht letztendlich eine wichtige Rolle spielen, wenn die Krankenhäuser überlastet sind und das Gesundheitssystem in Frankreich, Europa und der Welt ebenfalls an seine Grenzen stößt?
Michel Ruimy: Impact-Unternehmen können weder Krankenhäuser noch das Gesundheitssystem ersetzen.
Sie können jedoch eine wesentliche Rolle dabei spielen, das Angebot der bestehenden Strukturen durch technologische Innovationen (Telemedizin, mobile Anwendungen zur Gesundheitsüberwachung, Plattformen zur Verwaltung elektronischer Patientenakten usw.) zu ergänzen, die die Effizienz und Zugänglichkeit der Gesundheitsversorgung verbessern und gleichzeitig zur Entlastung der Krankenhäuser beitragen können. Es kann sich auch um die Prävention von Gesundheitsproblemen, Früherkennung, Management chronischer Krankheiten usw. handeln, die dazu beitragen, den Druck auf Krankenhäuser zu verringern, indem sie Gesundheitsprobleme verhindern, bevor sie einen Krankenhausaufenthalt erfordern.
In einem anderen Bereich können diese Firmen, um die Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern und die Verfügbarkeit von qualifiziertem Gesundheitspersonal zu erweitern, in Zusammenarbeit mit Ausbildungsinstituten und Behörden die Ausbildung und den Kompetenzaufbau von medizinischen Teams unterstützen, insbesondere in abgelegenen oder schlecht versorgten Gebieten.
All diese Initiativen senken letztlich die Kosten der Gesundheitsversorgung und halten gleichzeitig hohe Qualitätsstandards aufrecht. Es wird deutlich, dass ein kooperativer Ansatz, der auch öffentlich-private Partnerschaften umfassen kann, zwischen Impact-Unternehmen, Gesundheitsorganisationen und Regierungen ein widerstandsfähigeres und effizienteres Gesundheitssystem fördern kann.